Lina Barton
geb. Buxbaum
Geboren am 02. Juni 1880
Römersberg/Bez. Kassel
Ermordet am 07. April 1943 in Auschwitz
Letzte bekannte Wohnung:
Bierstadt, Wiesbadener Straße 4 (heute: Patrickstraße)
Sie war eine von uns.
Es geschah am Dienstag, dem 8. Dezember 1942. Der 2. Weltkrieg tobte nun schon über drei Jahre an vielen Fronten. In Stalingrad kämpften sowjetische und deutsche Soldaten einen mörderischen, verheerenden Kampf um jedes Haus, um jede Straße.
Für die Christen hatte gerade die 2. Adventswoche begonnen. Die jüdischen Gemeinden oder das, was von ihnen noch übriggeblieben war, hätten auch gerne das Chanukkafest gefeiert, das Fest des Lichtes, das traditionsgemäß acht Tage lang zur Erinnerung an die Einweihung des 2. Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. gefeiert wird. Der 8. Dezember war der 5. Tag des Chanukkafestes 1942. Aber die Synagogen waren seit dem 8. November 1938 im ganzen Deutschen Reich zerstört, verbrannt und verwüstet, durch einen von SA und SS aufgeputschten Mob. Und unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger waren zum großen Teil bereits in die KZ „umgesiedelt“ worden. So auch geschehen in Bierstadt. Die Nationalsozialisten hatten in unserem Dorf ganze Arbeit geleistet.
Aber Bierstadt war dennoch nicht ganz „judenfrei“, wie der schreckliche Begriff der Nazis damals lautete. Wie wir später erfahren werden, war Lina Barton die letzte noch unter uns lebende jüdische Mitbürgerin.
Im Rahmen unserer Nachforschungen über die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Bierstadt, neben gefallenen und vermissten Soldaten und zivilen Bombenopfern, stoßen wir zwangsläufig auf die Schicksale Bierstadter jüdischer Frauen, Männer und Kinder. Und es ist nicht nur selbstverständlich, sondern ein Gebot, dass wir im Zuge dieser Dokumentationen auch ihrer gedenken.
Niemand kennt mehr heute ihren Namen. Niemand weiß heute mehr, wie sie ausgesehen hat. Es gibt bis dato kein Bild von ihr. Niemand erinnert sich heute noch an sie. Aber sie war eine von uns, sie lebte unter uns in bescheidenen Verhältnissen, war mit einem Mann verheiratet, der Mitglied der Bierstadter evangelischen Kirchengemeinde war. Wegen ihrer Liebe zu ihm hatte sie sich evangelisch taufen lassen. Und doch war sie eine „Geächtete“. Weil sie von „jüdischer Rasse“ war. Ein Begriff, den es eigentlich garnicht gibt. Denn es gibt nur einen jüdischen Glauben. Aber das war ihr Schicksal, und das war ihr Todesurteil.
Wer waren die Bartons und warum wenden wir uns gerade den Schicksalen dieser Menschen zu? Lina Regina wurde am 2. Juni 1880 in Römersberg bei Kassel als Tochter von Salomon Buxbaum und seiner Frau Riecke (genannt: Rückchen), geb. Abt (Apt) geboren. Nach dem ihr erster Mann namens Haupt verstorben war, zog sie nach Wiesbaden und heiratete am 22. Dezember 1917 in Bierstadt Albert Barton. Sie arbeitete als Köchin und Hausgehilfin, unter anderem bei der jüdischen Arztfamilie Dr. Laser in der Wiesbadener Langgasse und der Familie Dr. Goldstein in der Parkstraße. Ihre Tätigkeiten dort waren wohl auch der Grund immer wieder neuer Verhöre durch die Gestapo.
Aus dem Wiesbadener Adressbuch von 1938 entnehmen wir, dass der Hilfsarbeiter Albert Barton mit seiner Frau in der Wiesbadener Straße 4, heute Patrickstr., wohnte. Lina war „getaufte Vollblutjüdin und Ehefrau des Ariers … Albert Barton …“, so steht es schwarz auf weiß im „Anschriften- und Branchenverzeichnis der Angehörigen des jüdischen Volkes in Wiesbaden und seiner Vororte“ von 1935, herausgegeben von Dr. Wilhelm Schmidt, „Kreisobmann für Judenfragen bei der Kreisleitung Wiesbaden der NSDAP.“
Albert Barton lebte krankheitsbedingt von der Verrichtung einfacher handwerklicher Arbeiten überwiegend in seinem Bierstadter Umfeld.
Linas Tätigkeiten in jüdischen Haushalten waren vermutlich die Gründe, sie zu denunzieren. Zu diesem Schluß kommt jedenfalls das „Aktive Museum Spiegelgasse“. Zu anderen Ergebnissen kommt Gerhard Valentin bei seinen Recherchen zu seiner 2017 vorgelegten Dokumentation „Wider das Vergessen, Bierstadt unterm Hakenkreuz 1933-1945“. Darin kommt er zu der Auffassung, dass Lina Barton ganz einfach vom damaligen Bierstadter NSDAP-Ortsgruppenleiter Peter Staub, dem „kleinen Hitler von Bier-stadt“, denunziert wurde. Denn der scheute sich nicht, sich in einer öffentlichen Versammlung zu brüsten, „dass er nunmehr die letzte Jüdin aus dem Dorf entfernt habe“, was auch in einer späteren Spruchkammerverhandlung nach Kriegsende bestätigt wurde.
So wurde Lina Barton am 8. Dezember 1942 nach Frankfurt am Main in das dortige Polizeigefängnis gebracht. Nach annähernd 3 Monaten Aufenthalt wurde sie am 1. März 1943 um 10.05 Uhr mit einem Transport nach Auschwitz deportiert. Dort wurde sie am 7. April 1943 um 8:50 Uhr ermordet.
Die Sterbeurkunde, ausgestellt vom Standesamt Auschwitz (ja, das gab es auch!) ist ergänzt vom Lagerarzt Dr. W. Rohde und trägt den Zusatz „Lina Barton evangelisch, früher mosaisch". Die offizielle Todesursache war mit „Altersschwäche“ angegeben. Der Standesbeamte war der berüchtigte SS-Oberscharführer Walter Quakernack .
Wir wissen, dass ihr Ehemann Albert Barton den 2. Weltkrieg überlebt hat. Was wir nicht wissen, ist, wie der Mann das schreckliche Schicksal seiner Frau verkraftet hat.
Lina Barton starb im Alter von 62 Jahren, 10 Monaten und 5 Tagen. Sie war eine Frau und Mitbürgerin, die unter uns und mit uns lebte.
Klicke hier für den Artikel von Hr. Staub
Klicke hier für die Artikel von Dr. Rohde und Hr. Quakernack
Quellen:
Aktives Museum Spiegelgasse, Wiesbaden
Gerhard Valentin: Wider das Vergessen, Bierstadt unterm Hakenkreuz 1933-1945, (2017)